Gerhard Rohn
Die Geschichte des Math.-Nat. Gymnasiums
Der Weg zur Oberrealschule 1896
Die höhere Bürgerschule entwickelte sich gut, in jedem Jahr kam eine neue Klasse hinzu. Dies zeigt, daß die neue Anstalt den Bedürfnissen der wirtschaftlich aufstrebenden Stadt und den Bildungserwartungen des Bürgertums entsprach. Ein allgemeines Bedürfnis nach höheren Bürgerschulen wurde bereits in einer Denkschrift des Ministeriums erkannt und formuliert: „Die Entwicklung unseres höheren Schulwesens hat zum Schaden des mittleren Bürgerstandes seit Jahrzehnten zu einer einseitigen Entwicklung der lateinlehrenden Schulen auf Kosten der lateinlosen geführt.” So war es denn nur folgerichtig, daß eine Neuordnung der Lehrpläne und Prüfungsordnungen und eine Neuregelung des Berechtigungswesens erfolgte. Ende 1891 erhielten die sechsklassigen lateinlosen höheren Bürgerschulen den Namen „Realschulen”. Diese Bezeichnung wurde der neuen Bürgerschule im Mai 1893 verliehen, nachdem im März 1893 die erste Entlassungsprüfung unter Vorsitz des Provinzial-Schulrates Dr. Deiters stattgefunden hatte.
Waren die ersten Klassen 1887 in gemieteten Räumen auf der Stepgesstraße 31 untergebracht, so erforderte die Aufwärtsentwicklung der Schule schon 1888 weitere Räume. Diese wurden im „Lingenschen Wohnhaus” auf der Victoriastraße gefunden (später wurde hier das Kaiserbad errichtet), das im Besitz der Stadt war. Im Oktober 1888 siedelte die Schule in die neuerbaute Völksschule auf der Regentenstraße 87 a über, hier blieb sie bis zur Fertigstellung ihres eigenen Schulneubaus am 12. Oktober 1892. Der Schulneubau an der Lüpertzender Straße entstand etwas oberhalb des alten Gymnasialgebäudes, in dem von Ostern bis zur Fertigstellung des Neubaus drei Klassen provisorisch untergebracht waren. Am 12. und 13. Oktober fand die feierliche Einweihung des Gebäudes statt. Kosten des Neubaus: Die Gesamtkosten beliefen sich auf 268767,59 Mark. Außer dem Schulgebäude wurde auch ein Direktorwohnhaus errichtet. Die Kosten hierfür beliefen sich auf 26022,30 Mark.
Nach dem Bezug des neuen Gebäudes hörte auch das Provisorium für den physikalischen und chemischen Unterricht auf, der bislang in einem Zimmer des Gartenhauses im Kaiserpark erteilt worden war.
Noch vor dem Ausbau zur sechsklassigen Realschule setzten auf die Initiative einiger Schülerväter Bemühungen ein, den Weiterausbau der Realschule zur Oberrealschule zu erreichen. 1895 wurde die Initiative von 261 Bürgern wieder aufgegriffen und vom Kuratorium und den Stadtverordneten gutgeheißen.
Am 01.03.1896 wurde nach zähen Verhandlungen – das Genehmigungsverfahren verlief ähnlich dem von 1887 – die Genehmigung des Ministers zum Ausbau der Anstalt zu einer Oberrealschule erreicht. Nachdem 1896 die Obersekunda, 1897 die Unterprima und 1898 die Oberprima angegliedert war, erfolgte die förmliche Anerkennung zur lateinlosen Oberrealschule. Unter dem Vorsitz des Schulrates Dr. Buschmann fand Ostern 1899 die erste Reifeprüfung statt, die alle drei Prüflinge bestanden.
Von besonderer Bedeutung für das preußische höhere Schulwesen war das Jahr 1900. Durch „Allerhöchsten Erlaß” wurden das Gymnasium, das Realgymnasium und die Oberrealschule als gleichwertig in der Erziehung zur allgemeinen Geistesbildung anerkannt. Dieser Erlaß bot nun den einzelnen Schulformen die Möglichkeit, ihre Eigenarten stärker herauszustellen. Er wurde als „Magna Charta des gesamten deutschen Schulwesens” gefeiert, die „das im vorherigen Jahrhundert herrschende Gymnasialmonopol” gebrochen hatte.
Damit waren fast alle vorherigen Studienbeschränkungen entfallen (Ausnahme Theologie), zumal ab 1903 für die Klassen Obersekunda bis Oberprima ein zweistündiger wahlfreier Lateinunterricht eingeführt wurde, um das Studium der Wissenschaften zu ermöglichen, für die die Universitäten Lateinkenntnisse verlangten. Nach erfolgreichem Besuch der dreijährigen Lateinkurse waren die Schüler von allen universitären Nachprüfungen befreit, selbst im Fach Medizin. Doch die Teilnahme an den Kursen wurde nur den Schülern gestattet, die in den anderen Fächern die Note genügend bekommen hatten.
Durch Ministerialerlaß wurde 1903 die von den Stadtverordneten beschlossene Errichtung der Vorschule genehmigt. Sie begann mit drei Zügen, wurde aber nach dem I. Weltkrieg wieder abgeschafft (Beschluß des Abbaus 1918 – Beendigung 1921).
Am 29. Februar 1908 starb der erste Schulleiter Dr. Klausing infolge einer Blinddarmentzündung im Alter von 51 Jahren. Kollegen und ehemalige Schüler charakterisierten Dr. Klausing als einen Idealisten, der eine Schülergeneration durch „hohes Wollen und schlichte Natürlichkeit sowie durch die Lauterkeit seines Wesens” prägte. Der Aufschwung der Schule während seiner Amtszeit war sein Verdienst. Sein Nachfolger wurde im November Dr. Gottschalk, der zuvor als Lehrer an der Handelsschule in Köln tätig gewesen war.
Ab Ostern 1910 wurden die Unter- und die Oberprima – wegen der geringen Schülerzahl war den beiden Klassen bisher in allen Fächern gemeinsam Unterricht erteilt worden – in den Hauptfächern getrennt unterrichtet, ab 1911 wurde eine vollständige Trennung durchgeführt. Weit über die Stadtgrenzen hinaus wurde die Schule bekannt, als Professor Kunkel 1909 seine Arbeit über den von ihm geschaffenen botanischen Schulgarten publizierte. Er gehörte zu den ersten, die nach streng biologischen Aspekten einen Botanischen Garten einrichteten, in dem nicht eine Vielfalt von Pflanzen bestimmend war, sondern das Zusammenleben bestimmter Pflanzen in Biotopen herausgestellt wurde.
Als am 27. April 1912 das 25jährige Jubiläum der Schule gefeiert wurde, beteiligten sich weite Kreise der Bevölkerung an diesem Fest. Die Stiftungen zugunsten der Oberrealschule bezeugten das Wohlwollen der Bevölkerung und die Anerkennung für die geleistete Erziehungsarbeit.