Gerhard Rohn

Die Geschichte des Math.-Nat. Gymnasiums

 

Die ersten Nachkriegsjahre (1945 -1949)

 

In der Endphase des Krieges besetzten die Amerikaner Anfang März nahezu kampflos die Stadt. Mönchengladbach hatte zu dieser Zeit etwa 50000 Einwohner. Von ca. 38000 Wohnungen waren 16000 völlig zerstört, etwa 12160 waren leicht- bis stark beschädigt, lediglich 9 840 Wohnungen waren unversehrt geblieben, d. h. ungefähr 25% des Wohnungsbestandes der Vorkriegszeit waren nur noch voll nutzbar. Fast alle öffentlichen Gebäude sowie die Bahn, die Post, die städt. Verkehrs- und Versorgungsbetriebe, Industrieanlagen, Banken und Versicherungsgebäude waren zerstört. Als die Briten u. a. die nördliche Rheinprovinz als Besatzungszone übernahmen, requirierten sie in Mönchengladbach die z. T. noch erhaltenen größeren Gebäude und Industriebetriebe (etwa Coloniahaus, Gladbacher Wolle) sowie eine Anzahl größerer Bürgerhäuser straßenzugweise für ihre Zwecke.

 

In diese Zeit fiel nun eine verstärkte Rückwanderung ehemaliger Gladbacher Bürger, hinzu kamen die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, so daß Mönchengladbach bereits Ende 1945 wieder ca. 100.000 Einwohner hatte. Eine Rückkehr in die Normalität schien vorerst unmöglich, da für diese Menschen Wohnraum, Arbeitsplätze und alles über das reine Überleben hinaus Notwendige neu zu schaffen war.

 

Zu schaffen war auch eine Neuordnung des Schulwesens, sollte doch nach dem Willen der Siegermächte gerade der Schule ein Hauptteil der Reedukationsaufgabe zufallen, mit der man die Vergangenheit bewältigen und die Bevölkerung zu Demokraten umerziehen wollte. Unter „Re-education” verstand man nach den nationalsozialistischen Verirrungen eine Umwertung der geistigen und kulturellen Werte des deutschen Volkes, eine über das Erziehungswesen hinausgreifende Rückführung Deutschlands in das gemeinsame Kulturerbe der zivilisierten Völker. Das gemeinsame Kulturerbe läßt sich durch die Begriffe „Jerusalem, Athen, Rom” kennzeichnen. Mit dieser Definition konnte man aber in der Praxis wenig anfangen, wenn nicht feststand, wie die Institution Schule gestaltet werden sollte, die die Anknüpfung an den gemeinsamen dreifachen Ursprung der westlichen Kultur herstellen sollte. Obwohl die Schulen im Herbst 45 wieder eröffnet wurden, beschäftigten sich die Besatzungsmächte erst ab 1946 mit dem deutschen Erziehungswesen intensiver, nachdem verschiedene alliierte Kommissionen Kritik am deutschen Schulwesen geübt hatten. Vorerst hielten sich aber die Besatzungsmächte – hier sind nur die westlichen Besatzungsmächte gemeint – an die Anweisung, daß „keine Versuche unternommen werden sollten, „neue Schultypen einzuführen …”, es sei denn, die zuständigen deutschen Behörden beginnen solche Vorhaben.” Ferner sollte keine neue Erziehungstheorie dem deutschen Erziehungswesen aufgepfropft werden. Dies führte dazu, daß der Wiederaufbau des deutschen Schulwesens sich vorerst am Weimarer Schulsystem und seinen Reformbestrebungen ausrichtete.

 

Auch in der britischen Besatzungszone war die Schulpolitik vom Begriff der „re-education” geprägt. Von den Briten wurde nicht nachhaltig versucht, das englische Schulsystem in ihrer Zone zu errichten. Namhafte britische Pädagogen, wie der Headmaster of Eton, Robert Birley, leitender Erziehungsberater der britischen Militärregierung, befaßten sich mehr mit den Bildungsinhalten und der Erziehungsmethodik als mit einer äußeren Schulreform. So versuchte Birley, den autoritären Anstaltscharakter der deutschen Schule aufzulockern. Hauptsächlich aber beschäftigte man sich mit der äußeren Wiederingangsetzung des deutschen Schulwesens. So bildete sich bald das wiederhergestellte dreigliedrige Schulsystem der Weimarer Republik heraus. Selbst die Kontrollratsdirektive Nr. 54 vom Jahre 1947 leitete keinesfalls eine Strukturveränderung ein. Die Kontrollratsdirektive Nr. 54 vom 25. 6. 1947 sah u. a. folgendes vor:

  • gleiche Bildungsmöglichkeit für alle
  • weitgehende Schulgeld- und Lehrmittelfreiheit
  • Erziehungsbeihilfen
  • Vollzeitschulpflicht von 6 bis 15 Jahren
  • danach Teilzeitschulpflicht bis 18 Jahre
  • integriertes Schulsystem (comprehensive educational System)
  • Gewährleistung der demokratischen Erziehung durch entsprechende Curricula, Lehrbücher und Schulorganisation
  • Förderung des Verständnisses für andere Völker durch moderne Fremdsprachen
  • Teilnahme der Öffentlichkeit an Reform, Organisation und Verwaltung des Schulwesens

 

Das dreigeteilte Schulsystem mit einem gemeinsamen Unterbau war nach britischer Auffassung durchaus mit dieser Direktive vereinbar, wenn wie in England Lehrmittel- und Schulgeldfreiheit gewährt würde. Damit griff man auf den Artikel 146 der Weimarer Verfassung zurück, der besagte, daß der Zugang zu den vom Staat gebotenen Bildungsmöglichkeiten allen Jugendlichen unabhängig von den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen des Elternhauses entsprechend Begabung und Neigung offenstehen müsse. Dieser Rechtsgrundsatz wurde in einigen Länderverfassungen der Nachkriegszeit zum Grundrecht auf Bildung gesteigert. Einige schulpolitische Vorstellungen der Alliierten finden sich in den entsprechenden Abschnitten der Länderverfassungen wieder, wobei anzumerken ist, daß die Verfassungen in der amerikanischen, französischen und sowjetischen Besatzungszone bereits vor der Direktive verabschiedet worden waren. Abweichend von der Direktive zeigen die Länderverfassungen fast keine Ansätze einer äußeren und inneren Schulreform. Mit der Direktive stimmen die Verfassungen im positiven Erziehungsziel Demokratie und Völkerverständigung überein, darüber hinaus entwickeln sie aber Tugendkataloge als Erziehungsgrundsätze: Ehrfurcht vor Gott, Liebe zu Heimat und Volk, Achtung vor der Menschenwürde und den Ansichten anderer, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl, sozialer Sinn, „Aufgeschlossenheit für das Wahre und Schöne” (Bayerische Verfassung). Dies sind die tradierten Tugenden eines christlich-humanistischen Menschenbildes, auf das sich die verfassungsgebenden Versammlungen der Länder von unterschiedlich bestimmten sozialen, liberalen und religiösen Ausgangspositionen her als Erziehungsprogramm für die Schüler geeinigt hatten. Diese Aussagen sind als Versuch zu verstehen, die nationalsozialistischen Verhaltensnormen durch Rückbesinnung auf immerwährend geltende menschliche Grundwerte politisch zu überwinden. Sie sind Ausdruck einer konservativen Geisteshaltung ohne emanzipatorischen und sozialkritischen Akzent.

 

Diese für die westlichen Zonen allgemeine Entwicklung ist auch für die britische Zone bereits ab Sommer 1945 nachweisbar. In den „Übergangslehrplänen für die höheren Schulen in der Nord–Rheinprovinz, herausgegeben von der Kulturabteilung der Nord-Rheinprovinz im Oktober 1945″, stehen unter einem Zitat W. v. Humboldts – „Man muß auch am Abgrunde das Gute nicht aufgeben.” – die Erziehungsgrundsätze der neuen Zeit: „Ihr Ziel ist wie jedes Erziehungsziel einmal die charakterliche Formung des Zöglings, also rechte Ausbildung seines Denkens und besonders seines Wollens und Fühlens, zweitens eine Wissensbildung, d. h. die Entfaltung seiner Denkfähigkeit und die Übermittlung des Wissensstoffes. Diese Wissensbildung soll ihn fähig machen, den Weltzusammenhang, in dem er steht, zu erkennen. Die charakterliche Formung soll ihn befähigen, handelnd an diesem Weltzusammenhang mitzugestalten.”

 

Diese Bildungsziele mußten aber auf einer „Wertegrundlage” und mit Hilfe einer entsprechenden Institution erreicht werden. Die Vorstellungen dazu wurden eindeutig präzisiert, drei Werte wurden genannt:

  • Die christliche Lebenshaltung, wobei der Glaube als verpflichtende Norm aller Bildung besonders betont wird. (Der konfessionsgebundene Religionsunterricht zeigt christliche Lebenshaltung im Tun und Sein des gesamten Schullebens. Schulgottesdienst, Adventsfeiern, Weihnachts- und Osterspiele, soziale Hilfe)
  • Die deutsche Haltung. „Damit ist gemeint die Treue gegenüber den deutschen geistigen Werten und Leistungen der Vergangenheit. Es ist gedacht an die geistige Sendung des Deutschtums . . .“, wobei es „nicht nur um die sittliche Haltung des preußischen Pflichtdaseins, . . ., sondern um die Universalität des deutschen Geistes, seine Weltoffenheit und . . . seinen tragischen Spannungsreichtum” geht. Das festliche Bekenntnis zu diesem deutschen Geist soll alljährlich um die Johanniszeit in einer dramatischen und musikalischen Aufführung deutscher Werke durch die Schulgemeinde abgelegt werden. In anderen gelegentlichen Schulfeiern werden die großen Schöpfungen der europäischen nichtdeutschen Völker nachgestaltet.
  • Die abendländische Haltung. Die abendländische Haltung erwächst aus der verpflichtenden Erkenntnis, daß wir „Glied der europäischen Gemeinschaft” sind, und daß die deutsche Kultur in die europäische Kultur eingebettet ist. Der abendländische Geist beruht auf der Grundlage der antiken Kultur, auf der christlichen Grundlage und der Ausbildung der einzelnen Volkskulturen seit der Renaissance.

 

„Aus diesen Erwägungen heraus ergeben sich zwei Grundformen der höheren Schule. Sie sollen beide Gymnasien heißen, um auszudrücken, daß sie als Ziel nur die Hochschulreife haben, daß sie also Ausleseschulen der für die wissenschaftlichen Berufe Begabten sein sollen (für die Mehrzahl der Jugend wird die Volksschule und die Mittelschule zu sorgen haben). Beide Formen sollen wieder neunjährig sein. Sie sollen die alten Klassenbezeichnungen tragen.“

Für die weibliche Jugend sollten ebenfalls zwei Grundformen der höheren Schule eingerichtet werden, die Studienanstalt und das Lyzeum.

„Für die männliche Jugend ist die erste Grundform das humanistische Gymnasium, die zweite Grundform ist das naturwissenschaftliche Gymnasium. Dieses „stellt in den Mittelpunkt die abendländische Ratio, also an Stelle der fremden Sprachen, die aber auch ein gewisses Eigenrecht behalten, die Mathematik und die Naturwissenschaften. Die Gesinnungsfächer (Deutsch, Religion, Geschichte, Erdkunde) werden gegenüber dem humanistischen Gymnasium noch verstärkt durch je zwei Stunden Philosophie in der Oberstufe und eine leichte Vermehrung der Erdkundestunden. Das soll den Unterschied von (!) der alten Oberrealschule deutlich machen. Mathematik und Naturwissenschaften sollen nicht in erster Linie ein technisches Vermögen ausbilden oder nur Tatsachen des Wissens vermitteln, sondern sie sollen als Denkinstrumente die Rolle der alten Sprachen auf dem humanistischen Gymnasium übernehmen, also philosophisch vertieft werden. Aus demselben Grunde der Denkschulung bleibt Latein als erste Fremdsprache mit fast derselben Stärke wie auf dem humanistischen Gymnasium: Unterstufe acht, Mittelstufe sechs, Oberstufe vier (Wochenstunden pro Jahrgangsstufe). Dadurch ist die Unterstufe völlig gleich mit der des humanistischen Gymnasiums. Die Schüler brauchen sich erst in Untertertia für das altsprachliche, neusprachliche oder das naturwissenschaftliche Gymnasium zu entscheiden. Die zweite fremde Sprache in der naturwissenschaftlichen Form ist Englisch und setzt in Quarta mit drei Stunden ein. Es wird dann mit vier Stunden durchgeführt. Das ergibt für die beiden Sprachen, Lateinisch und Englisch, 91 Stunden. ” In den Übergangslehrplänen wurden irrtümlicherweise 91 Stunden für die Fremdsprachen angegeben. Tatsächlich waren es nur 81 Jahreswochenstunden. „Demgegenüber erhält die Mathematik auf der Unterstufe und Mittelstufe vier, auf der Oberstufe fünf, die Naturwissenschaften auf der Unterstufe zwei, auf Mittel- und Oberstufe fünf, zusammen für beide Fächer 75 Stunden gegenüber 51 des humanistischen Gymnasiums. Die Überleitung der jetzigen Schultypen in die neuen Formen soll sofort in die Wege geleitet werden, und zwar so, daß Ostern 1950 beide Formen im wesentlichen fertigstehen.” (Übergangslehrpläne von 1945)

Stundentafel in der modifizierten Form von 1950 für das Math.-Nat. Gymnasium von der Sexta bis zur Oberprima (Jahreswochenstunden):

Religion 18
Deutsch 38
Geschichte 22
Erdkunde 15
Englisch 22
Latein 54
Mathematik 39
Naturwissenschaften 36
Zeichnen 15
Musik 11
Sport 21
Philosophie 6
Summe: 297 Stunden

Mit den vorläufigen Übergangslehrplänen und der Festlegung der höheren Schule war trotz aller Kritik verschiedener alliierter Kommissionen und Protesten engagierter deutscher Reformer die schulpolitische Entwicklung für die nächsten Jahrzehnte festgelegt. Der schulpolitische Konflikt der ersten Nachkriegsjahre wurde allerdings überdeckt durch die vordringlichere Aufgabe, die Schulen aus der Trümmerlandschaft, die der Krieg hinterlassen hatte, zunächst einmal aufzubauen.

 

Auch in Mönchengladbach sollte im Oktober 1945 die Wiedereröffnung der Schulen erfolgen. Als Leiter der ehemaligen Oberrealschule, die nun Mathematisch-Naturwissenschaftliches Gymnasium hieß, wurde der Oberstudiendirektor Dr. Franz Ewald ernannt, der 1933 aufgrund seiner politischen Überzeugung seine Stelle als Schulleiter in Stolberg verloren hatte und von 1933 bis 1945 seinen Dienst als Lehrer der Oberschule versah. Dr. Ewald übernahm eine äußerst schwierige Aufgabe, den Aufbau einer Schule und ihrer Organisation aus dem Nichts heraus zu bewerkstelligen.

 

Schon der von den Briten geforderte Termin, die Schule am 1. 10. 1945 zu eröffnen, scheiterte an der besonders in Mönchengladbach mißlichen Situation der Schulgebäude. Drei höhere Schulen sollten sich das beschädigte „untere Schulgebäude” an der Lüpertzender Straße 85 teilen. Das etwas weniger beschädigte Schulgebäude Fliescherberg 2 war beschlagnahmt worden. Dort waren versprengte Fremdarbeiter (displaced per-sons) untergebracht worden. So war es nicht verwunderlich, daß der Schulbetrieb erst Anfang November (2. 11.1945) wieder anlief. Die Schwierigkeiten, mit denen Dr. Ewald fertig werden mußte, schildert sein Bericht vom 19. 8. 1945 an die Schulaufsichtsbehörde. Um Schulgut zu sichern, das noch im Keller des Gebäudes Fliescherberg lagerte, benötigte er einen besonderen Erlaubnisschein. Es gelang ihm, etwa 120 Bänke,5 Tafeln, ca. 10 Wand- und Sammlungsschränke sowie einige Pulte und Stühle zu retten. Die Lehrerbibliothek war bei Luftangriffen nahezu völlig vernichtet worden. Lediglich die Schülerbibliothek und die Hilfsbibliothek waren größtenteils erhalten. Diese konnten aber nur zum Teil benutzt werden, da viele Bücher nationalsozialistisches Gedankengut enthielten. Die Hoffnung, am 1. Oktober das untere Gebäude an der Lüpertzender Straße, in dem ab 1943 das Wehrbezirkskommando untergebracht gewesen war, zusammen mit der Oberschule für Mädchen und dem humanistischen Gymnasium, beziehen zu können, zerschlug sich.

 

Im November begann der Unterricht provisorisch in einigen Räumen von Gaststätten (u. a. einer Kegelbahn), das evangelische Gemeindeamt stellte einen Raum zur Verfügung, die Rheinische Volkspartei stellte an der Humboldtstraße einen Raum bereit, ferner wurde das Wartezimmer eines Arztes, der Schülervater war, genutzt. Daß im Nachkriegswinter 1945/46 unter diesen Umständen Unterricht stattfand, zeigt den Willen aller Beteiligten, einen neuen Anfang zu machen und zu helfen, so gut es ging. Es war ein Neubeginn, wenn auch der Schulbericht vom 29. 7. 1946 vermerkte, daß von 617 Schülern nur etwa 81 einen vollen Unterricht von mehr als 25 Stunden pro Woche gehabt hatten.

 

Erst Ostern konnte das „untere Schulgebäude” an der Lüpertzender Straße, zusammen mit den beiden anderen höheren Schulen, bezogen werden. Damit entfiel zwar die „Wanderbewegung” von Lehrern und Schülern in die einzelnen Stadtviertel, dafür nahm man jetzt „Schichtunterricht” , der wechselweise vor- oder nachmittags erteilt wurde, in Kauf. Im Winter 1947/48 besserte sich die Schulraumsituation geringfügig, als das humanistische Gymnasium sein altes Schulgebäude am Fliescherberg nach notdürftiger Renovierung und Freigabe beziehen konnte. Einige Räume des Gebäudes am Fliescherberg wurden vom Math.-Nat. Gymnasium mitbenutzt, so daß jetzt für drei höhere Schulen zwei Gebäude zur Verfügung standen. Dennoch dauerte der Schichtunterricht noch bis zum Jahre 1953. Lapidar vermerkte der Mönchengladbacher städtische Verwaltungsbericht aus den Jahren 1948-51: „Das Schulgebäude genügte den Anforderungen nur notdürftig. So mußten z. B. der Zeichen- und Musiksaal gleichzeitig als Klassen- und Sammlungsräume dienen. Auch ist das Gebäude instandsetzungsbedürftig. Fast in allen Klassen fehlt der Anstrich.” Es fehlten die erforderlichen naturwissenschaftlichen Fachräume. Das Gebäude der Oberrealschule auf der Nordseite des Schulgeländes blieb vorerst als Ruine stehen.

 

Gravierender als die Raumnot war der Lehrermangel. Studienrat Dr. Heinrich Brobeil war 1944 durch Bomben ums Leben gekommen, Assessor Heinrich Linssen und Studienrat Rudolf Retz waren als vermißt in Stalingrad gemeldet worden, Studienrat Ludwig Liebertz war in russischer und Studienrat Wilhelm Kleine-Hülswische in amerikanischer Gefangenschaft gestorben. Zu den Kriegstoten und dem Fehlen von Nachwuchs infolge des Krieges kam die Entfernung vieler Lehrer aus dem Amt durch das Entnazifizierungsverfahren. Auf die wenigen Lehrer kamen die geburtenstarken Vorkriegsjahrgänge zu, ferner kamen Flüchtlingskinder hinzu. Die Lehrer-Schüler-Relation verschlechterte sich zusehends. Erst ab 1951 wurde es geringfügig besser.

 

Eine besondere Schwierigkeit bildete für die Anstalt die Einrichtung von Sonderkursen zur Ablegung der Reifeprüfung für diejenigen, die vor dem Abitur noch eingezogen worden waren und nun als Kriegsteilnehmer oder Spätheimkehrer zurückkehrten. Darunter befanden sich nicht nur ehemalige Schüler der Anstalt, sondern auch schulfremde, die der Krieg und die Nachkriegszeit nach Mönchengladbach verschlagen hatten. Das Math.-Nat. Gymnasium hat von 1946 bis 1949 acht solcher Lehrgänge durchgeführt, wobei 219 Abiturienten die Reifeprüfung bestanden, wie der Verwaltungsbericht vermerkt. Aufgrund des erhöhten Lehrerbedarfs wurden von anderen höheren Schulen Lehrer dem Gymnasium zugewiesen, dazu kamen ab 1949 verstärkt Lehrer aus Mittel- und Ostdeutschland.

 

Das rapide Anwachsen der Schülerzahlen wurde von der Schulaufsicht mißtrauisch verfolgt. Für die Sexta wurde eine Aufnahmeprüfung vorgeschrieben, wie sie auch früher üblich war; die Klassenfrequenz von 50 Schülern durfte nur um 10% überschritten werden; „überalterte” oder ungeeignete Schüler sollten von der Anstalt verwiesen werden; erfolgreiche Wiederholer der Untersekunda sollten die Oberstufe nicht mehr besuchen dürfen; in die Oberprima sollte nur versetzt werden, wer die Gewähr bot, das Abitur zu bestehen. Massiver Protest der betroffenen Elternschaft hatte jedoch zur Folge, daß die Aufsichtsbehörde den Erlaß 1947 entschärfte.

 

Mit der Währungsreform 1948 wurden zwar einige der Schwierigkeiten beim Wiederaufbau der Schule überwunden. Mönchengladbach als Schulträger besaß aber nicht die Mittel, um den zügigen Wiederaufbau durchzuführen. Die den Schulen zugewiesenen Etatmittel blieben vorerst bescheiden, jede dringend benötigte zusätzliche Mark mußte vom Schulleiter buchstäblich erbettelt werden. Hält man sich die wirtschaftliche Situation der zerstörten Stadt und des neuerrichteten Landes Nordrhein-Westfalen vor Augen, dann muß man dafür Verständnis haben.

 

Ein weiteres Problem waren die nicht vorhandenen Lehrbücher für die Schüler. Teils waren sie vernichtet, teils wurden sie durch Kontrollratsbefehl Nr. 4 (10. 9. 1946) wegen nationalsozialistischen Gedankenguts eingezogen. In Zusammenarbeit mit Kollegen des Stift. Hum. Gymnasiums gab der Schulleiter Dr. Ewald Lernblätter heraus, die fast im ganzen Rheinland verbreitet wurden.

 

Als am 30. September 1949 der Oberstudiendirektor Dr. Ewald in den wohlverdienten Ruhestand trat, hatte sich das Schulleben allmählich soweit normalisiert, daß bereits wieder Schulausflüge stattfanden, Sportfeste durchgeführt wurden, Schulfeste und Gedenkfeiern zu Ehren deutscher Geistesgrößen veranstaltet wurden, wobei auch das Schulorchester öffentlich auftrat. Es ist Dr. Ewalds großes bleibendes Verdienst, die Anstalt buchstäblich aus dem Nichts wieder aufgebaut und sie zu ihrer alten Bedeutung und ihrem früheren Ansehen zurückgeführt zu haben. Die Schule und namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens dankten Dr. Ewald und würdigten seine außerordentlichen Leistungen anläßlich seiner feierlichen Verabschiedung im Großen-Union-Theater am 01. 10. 1949.