Ein Auslandsjahr während der Schulzeit – wagt man diesen Schritt oder lieber doch nicht!? Möchte man in seinem gewohnten Umfeld bleiben oder aus seiner Komfortzone ausbrechen, auf ein Abenteuer gehen und sein Leben in Deutschland für ein Jahr zurücklassen? Ja, es ist ein gewagter Schritt. Das gebe ich zu. Doch lohnt er sich? Ich sage: „Ja, auf alle Fälle!“. Ein Auslandsjahr zu machen, egal ob es in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Kanada, Neuseeland, Australien, Großbritannien, Spanien oder ganz wo anders auf der Welt ist, ist ein Abenteuer, das man niemals bereuen wird.
Ist denn ein Auslandsjahr überhaupt etwas für mich? Mit dieser Frage beschäftigt sich bestimmt jeder, der sich ernsthaft dafür interessiert. Mut wird es natürlich brauchen, denn schließlich wird man ein Jahr lang, jedenfalls für einen längeren Zeitraum von seiner Familie getrennt in einem anderen Land in einer fremden Familie leben. Man hat dafür aber die Chance, ein zweites Zuhause dazu zu gewinnen, dort zu einem Familienmitglied zu werden, neue Freundschaften zu schließen, auf eine andere Schule zu gehen und in eine völlig fremde Kultur einzutauchen. Ein Auslandsjahr ist in allen Bereichen so wertvoll, dass es dich vor Herausforderungen stellen wird, an denen du mit Sicherheit über dich hinauswachsen wirst.
Im vergangenen Jahr habe ich genau das getan: Ich bin in der 10. Klasse für ein Schuljahr zu dem bisher größten Abenteuer meines Lebens aufgebrochen und habe mein gewohntes Umfeld in Mönchengladbach für genau 11 Monate verlassen, um mir ein neues Leben rund 8.000 km entfernt im US-Bundesstaat Colorado, genauer gesagt in dem kleinen Ort Byers mit nur knapp 1.400 Einwohnern aufzubauen. Dort habe ich gemeinsam mit einer spanischen Austauschschülerin in einer Gastfamilie gelebt, die nun tatsächlich zu meiner zweiten Familie geworden ist, habe neue Freunde gefunden und den so berühmten amerikanischen „High School Spirit“ erleben dürfen. Ich bin zu einer 5-Sport-Athletin geworden (so viel Sport habe ich in meinem ganzen Leben noch nie getrieben – hahaha), habe also fünf verschiedene Sportarten über das Jahr verteilt ausgeübt, u.a. Cross Country (5 km-Geländelauf), Cheerleading (das durfte, da es typisch amerikanisch ist, natürlich nicht fehlen), Basketball, Volleyball und Track and Field (Leichtathletik). Ich wirkte in einem Theaterstück meiner Schule mit und trat zwei verschiedenen Clubs (FFA: Future Farmers of America, FBLA: Future Business Leaders of America) bei.
Man kann tatsächlich auch an einer kleinen Schule die unterschiedlichsten Aktivitäten ausprobieren. Manche denken bestimmt, in den USA gäbe es nur Schulen mit 2.000 oder 3.000 Schülern, so wie es in den meisten amerikanischen High School–Filmen dargestellt wird. Das stimmt aber eben nicht. Auch das ist ein Punkt, den mich das Auslandsjahr gelehrt hat. Klischees sind Klischees, müssen aber nicht immer zutreffen. Es gibt Schulen mit einer solch großen Schülerzahl, aber auch Schulen, die nur eine ganz kleine Community haben, so wie die „Byers High School“, die ich im vergangenen Jahr besuchen durfte. Es war eine ganz neue Erfahrung für mich, die ich nicht mehr missen möchte Eine kleine High School zu besuchen hat den Vorteil, alle ganz schnell kennen zu lernen, ein sehr entspanntes Lehrer-Schüler-Verhältnis aufbauen zu können und noch viele mehr. Besonders im durch Corona geprägten Schuljahr 2020/21 war es geradezu perfekt auf eine kleinere Schule zu gehen, denn so hatte ich zusammengerechnet das ganze Jahr über nur vier Wochen lang „Homeschooling“. Die meisten großen Ereignisse und Feiern wie „Homecoming“ oder „Prom“ und auch die Sportseasons konnten stattfinden. Coronaschutzmaßnahmen waren natürlich auch in den Staaten stets zu beachten.
Dank meiner großzügigen Gastfamilie hatte ich die Möglichkeit, viele neue Orte in den USA kennenlernen zu dürfen. Und das alles trotz Corona. Mit seinen 50 Staaten ist die USA sehr facettenreich. Dies durfte ich in meinem Jahr hautnah miterleben. In Las Vegas konnten wir die Nacht zum Tag machen, in Illinois war ich zum ersten Mal auf einer Kürbis-Plantage, in Wyoming durfte ich selber einmal spüren, wie es ist, wenn man vom Wind weggepustet wird, in New Mexico konnten wir Albuquerque und Santa Fe unsicher machen, zu Texas sage ich nur „Howdy“ (wie ein waschechtes Cowgirl), in Pennsylvania habe ich die Eltern meiner Gastmutter kennengelernt, in Washington D.C. durfte ich die Geschichte meines Gastlandes erkunden und habe natürlich kein Monument beim Sightseeing ausgelassen, das Weiße Haus live und in Farbe bestaunt und in Virginia haben wir uns angeschaut, wie der erste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George Washington, seinerzeit in „Mount Vernon“ gelebt hat. All diese Staaten besuchen zu dürfen, war ein unvergessliches Erlebnis und keinesfalls selbstverständlich. Ich hätte vor Antritt meines Auslandsjahres nie damit gerechnet, trotz Covid-19 doch so viel reisen zu können.
Das vergangene Jahr hat mich unendlich viel gelehrt. Natürlich war es nicht immer leicht. Auch ich hatte meine „Ups and Downs“, aber die habe ich in Kauf genommen, denn nur so kann man über sich hinauswachsen. Das Jahr hat mir außerdem dabei geholfen, mich selbst neu zu entdecken. Es hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, sich selbst treu zu bleiben und sich keine Gedanken darüber zu machen, was andere über mich denken. Zudem habe ich auch gelernt, wie wichtig es ist, offen und unvoreingenommen auf fremde Menschen und deren Kulturen zuzugehen. Es hat mir gezeigt, dass „anders“ nicht gleich schlechter heißen muss, auch im Zusammenhang mit der Pandemie. Vielleicht war mein Auslandsjahr anders, aber deshalb ja nicht weniger großartig. Kurz und knapp: Ich habe mich selbst in diesem Jahr noch einmal besser kennengelernt.
Im Nachhinein kann ich euch nur empfehlen, unbedingt ein Auslandsjahr zu machen, wenn es euch irgendwie möglich ist. Als Stipendiatin weiß ich, dass es nicht für alle leicht ist, so etwas finanziell zu stemmen, aber es gibt ja auch die Möglichkeit, sich um ein Stipendium zu bemühen. Begebt euch auf das Abenteuer „Exchange Year“. Seid mutig und weltneugierig. Ihr werdet über euch hinauswachsen, wahnsinnige Abenteuer erleben und Erinnerungen sammeln, die euch niemand mehr nehmen kann. Für mich war es jedenfalls die beste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe. Mein Auslandsjahr war wirklich „A Life in a Year“!
Falls ihr euch ernsthaft für ein Auslandsjahr interessiert, ihr euch aber nicht sicher seid oder andere Fragen dazu habt, könnt ihr mich selbstverständlich um Rat fragen. Gerne verweise ich auch auf meine Organisation Stepin, bei der ich mich von Anfang an sehr gut aufgehoben gefühlt habe und die mich durch das Jahr begleitet hat. Auf der Internetseite von Stepin findet ihr im Weltneugier-Blog all meine Berichte und sämtliche ausführlichen Updates über mein Jahr in Amerika.
Eure
Lucie Joe Hoffmann
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