Gerhard Rohn

Die Geschichte des Math.-Nat. Gymnasiums

 

Vorgeschichte der Gründung unserer Schule

 

Bedingt durch das Anwachsen der Industrie und einer damit verbundenen Zunahme des Handels in den ersten 40 Jahren des vergangenen Jahrhun­derts wuchs auch der Wunsch „gemeinsinniger Einwohner beider Konfessionen” nach einer la­teinlosen höheren Bildungsanstalt für die Ju­gend. Diese Bildungsanstalt sollte denjenigen, die sich später in Handel, Gewerbe oder techni­schen Bereichen betätigen wollten, eine allge­meine Vorbildung für die zukünftige Praxis ge­ben. Zwar existierte bereits seit 1831 ein „Katho­lisches Progymnasium”, aber, so argumentierten 1841 die Bürger, das „bestehende Progymnasium kann natürlich keine für diesen Zweck geeignete Unterrichtsanstalt sein; dasselbe als Vorschule für Gelehrtenbildung schließt Wissenschaften mehr oder weniger aus, welche dem künftigen Kauf­mann unentbehrlich und von diesem, als direkten Bezug habend auf den künftigen Beruf, vorzugs­weise zu betreiben sind. Der Umstand, daß seit einigen Jahren schon eine große Zahl junger Leute (jetzt ca. 20) aus unserer Gemeinde eine benachbarte Unterrichtsanstalt besuchen, ist der stärkste Beweis, wie groß das Bedürfnis einer solchen Anstalt für uns ist, (!) und wie wenig dienlich zu diesem Zwecke das bestehende Progymnasium …”

 

Die Bestrebungen führten 1841 zur Gründung einer evangelischen Privatschule, die nach der staatlichen Genehmigung im Herbst 1842 eröff­net werden konnte. Die Trägerschaft der Schule übernahm 1844 die evangelische Gemeinde Gladbach. Die Schule wurde 1859 zur höheren Bürger­schule erweitert und am 27. 2. 1860 staatlicherseits anerkannt. Zunächst fand die Bürgerschule eine Mietunterkunft an der oberen Crefelder Straße (heute Hindenburgstraße), später hatte sie ihr eigenes Gebäude an der Lüpertzender Straße. Bereits im Jahre 1865 erhielt die Schule die erweiterten Berechtigungen dieser Schulart; dies war vor allem die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen-Militärdienst. Um diese Berechti­gung zu erhalten, mußte sie aber den Forderun­gen der Regierung nachkommen und Latein in den Lehrplan aufnehmen. Nun besaß Gladbach zwei unvollständige höhere Lehranstalten: die evangelische höhere Bürgerschule und das katho­lische Progymnasium. Das Ziel beider Schulen mußte es zwangsläufig sein, den staatlich anerkannten Status einer Vollanstalt zu erreichen. Da die Stadt beide Schulen – das Progymnasium aber nur zeitweise – finanziell unterstützte, lag der Gedanke nahe, daß eine Vollanstalt anstelle der zwei unvollständigen höheren Lehranstalten anzustreben sei. Einen ersten Vorstoß machte der Rektor der höheren Bürgerschule, Dr. Fischer, in seiner Denkschrift vom Juli 1874. Um seine Schule ge­genüber der gymnasialen Form durchzusetzen, möge die Stadt anstelle der zwei Konfessions­schulen eine paritätische Realschule I. Ordnung einrichten.

 

Nach äußerst zähen Verhandlungen zwischen den Kuratorien des Progymnasiums und der evangelischen höheren Bürgerschule, der Stadt und den Schulbehörden kam am 21. Oktober 1875 ein Vertrag über die Fusion der beiden Schulen zustande. Im 1. Paragraph des Fusionsvertra­ges heißt es: „Das katholische Progymnasium und die Evangelische Höhere Bürgerschule zu M. Gladbach vereinigen sich zu einer einheitlich geleiteten paritätischen höheren Lehranstalt und bilden sich fort zu einem Gymnasium mit Real-Parallel-Klassen.” Die Fusion kam nicht zuletzt zustande, weil beide Seiten Opfer brachten. Um die Gründung des Gymnasiums zu ermöglichen verzichtete Dr. Fischer, der Rektor der höheren Bürgerschule, auf sein Amt. Am 26. April 1877 konnte die vereinigte Anstalt (das spätere Stift.-Hum. Gymn.) die Arbeit aufnehmen.

 

Gründungsgeschichte des heutigen Math.-Nat. Gymnasiums

 

In den ersten Jahren nach der Reichsgründung erfolgte eine stürmische Entwicklung der Industrie, und in ihrem Gefolge stieg die Bevölkerungszahl auch in Mönchengladbach. In diesen Gründerjahren erwarb Mönchengladbach den Ruf eines „niederrheinischen Manchester”. Einige Zahlen mögen diesen „Wirtschaftsboom” verdeutlichen:

 

Entwicklung der Baumwollspinnereien Entwicklung der Bevölkerungszahlen:
1870 231 000 Spindeln     1798 ca. 1.200
1872 258 000 Spindeln     1861 17 500
1875 290 000 Spindeln     1868 23 300
1877 35 200

 

Mit dem Ansteigen der Bevölkerungszahl stieg naturgemäß auch die Schülerzahl des Gymnasiums mit Real-Parallel-Klassen, so daß die vorhandenen Gebäude nicht mehr ausreichten (ein Teil der Schüler – Sexten und Quinten – wurden an der Lüpertzender Straße im alten Gebäude der höheren Bürgerschule unterrichtet, die anderen Schüler hatten ihre Unterrichtsräume im Gebäude des Progymnasiums an der Abteistraße) und man an eine Erweiterung des Gymnasiums denken mußte. Nun war aber gerade das Gymnasium nicht die Schulform, die die einflußreichen Wirtschaftskreise und das höhergestellte Bürgertum haben wollten. Ihre Vorliebe für die Real­schulen (= Bürgerschulen) entsprang zwei Wurzeln:

 

  • Die lateinlosen höheren Bürgerschulen hatten die ihnen gestellte Aufgabe, die Vorbildung zur späteren Berufsausübung in Handel, Gewerbe und Technik zu vermitteln, hervorragend gelöst. Dadurch hatten sie sich auch in Preußen immens vermehrt.
  • Das Bürgertum sah sich im Vertrauen auf seine eigene Leistungskraft, die sich im wirtschaftlichen Aufstieg widerspiegelte, bestätigt. Es glaubte deshalb auch, daß die an seiner Schulform (Bürgerschule) vermittelte Bildung der klassischen Gymnasialbildung überlegen sei.

 

Dies alles führte dazu, daß die Diskussion um eine lateinlose sechsjährige Bürgerschule erneut entbrannte. Bereits in der Stadtverordneten-Sit­zung vom 27. Oktober 1884 wurde vom Stadtver­ordneten Hoffmann der Antrag eingebracht, das Kuratorium des Gymnasiums möge erörtern, ob es nicht wünschenswert sei, eine Mittelschule zu gründen, auf der zwei moderne Fremdsprachen gelehrt würden und die die Berechtigung zum ein­jährig-freiwilligen Militärdienst aussprechen könne. Im Dezember 1884 wurde der Antrag erörtert und aus Furcht, das Gymnasium könne Schaden nehmen, zurückgezogen. Die örtliche Presse griff unter Federführung des Kommerzienrates Hermann Busch den Fall jedoch auf, so daß die Bürgerschulfrage weiter im Gespräch blieb, besonders nachdem sich der Stadtverordnete Math. Chr. Busch zu einer Schenkung von 1500 Mark zugunsten eines naturwissenschaftlichen Lehrapparats verpflichtet hatte, wenn bis zum „1. April 1887 eine lateinlose höhere Bürgerschule gegründet und eröffnet worden sei“.

 

Am 12. Mai 1886 beschloß die Stadtverordne­ten-Versammlung in geheimer Sitzung:
„1. eine den hiesigen gewerblichen und industriellen Interessen dienende höhere Lehranstalt zu errichten;

2. zu diesem Zwecke eine Kommission von sechs Mitgliedern zu wählen (vier aus dem Kollegium und zwei aus der Bürgerschaft mit dem Recht der Cooptation), welche diese Angelegenheit eingehend prüft, die Vorverhandlungen mit den maßgebenden pp. prüft . . . und gleichzeitig die weiter zu fassenden Beschlüsse in Vorschlag bringt.“

 

Das kgl. Provinzial-Schulkollegium wurde in mehreren Eingaben um Genehmigung einer Mittelschulgründung ersucht. Das Provinzial-Schulkollegium behandelte die Eingaben unter Hinweis auf den nicht erkennbaren Bedarf einer Neugründung vorerst dilatorisch, sicherte aber eine erneute Überprüfung zu, wenn sich „das betreffende Bedürfnis deutlicher und bestimmter . . . herausstellen sollte, . . .”

 

Als auch erneute Vorstöße betreffs der lateinlo­sen höheren Schule vom Provinzial-Schulkollegium abgewiesen wurden, erfolgte in den hiesigen Zeitungen eine Bekanntmachung (22. 9. 1886), die mit einer Anfrage bei den Hauptlehrern der Gladbacher Volksschulen verbunden war, welche Schüler bereit seien, die neue Bürger­schule zu besuchen. Es meldeten sich 108 Schüler, die in die Ostern 1887 zu eröffnende Sexta einer lateinlosen höheren Bürgerschule aufgenommen werden wollten. Nachdem das günstige Ergebnis dem Koblenzer Provinzial-Schulkollegium gemeldet worden war, reiste eine Gladbacher Delegation, die aus dem Bürgermeister Kaifer und den Kommissionsmitgliedern H. Busch und K. Schiedges bestand, nach Koblenz, wo sie am 10. November 1886 von den Schulräten Deiters und Wendtland und vom zuständigen Regierungspräsidenten v. Puttkamer empfangen wurde. Durch die mündlichen Verhandlungen und besonders aufgrund der hohen Anmeldezahlen gelang es den Stadtvertretern, die grundsätzlichen Bedenken der Behörde auszuräumen. Nachdem das Schulkollegium die Gründung der Schule beim Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten befürwortet hatte, erging am 21. 12. 1986 ein Erlaß des Ministers Goßler, in dem die Errichtung der höheren Bürgerschule für wünschenswert erachtet wurde. Allerdings waren an die noch zu erteilende Genehmigung folgende Bedingungen geknüpft:

  • Räumliche Trennung von Gymnasium und höherer Bürgerschule; Leitung der Bürgerschule durch einen eigenen Rektor.
  • Schulräume gemäß den Anforderungen der Aufsichtsbehörde.
  • Aufstellung eines Schuletats; Übernahme der Kosten und der Besoldung der Lehrer durch die Stadt.
  • Sukzessive Einbeziehung der bestehenden Realprogymnasialklassen in die höhere Bürgerschule.
  • Keine Verzögerung des beschlossenen Gymnasial-Erweiterungsbaus.
  • Ansprüche der katholischen und evangelischen Gemeinde bezüglich der Gebäude sind durch die Stadt zu begleichen.

 

Diese Bedingungen wurden von der Stadtverordnetenversammlung beraten und angenommen. Nachdem ein Statut für die höhere Bürgerschule ausgearbeitet worden war, stand der ministeriellen Genehmigung nichts mehr im Wege. Am 9. April erfolgte der nachstehende Erlaß:

 

Berlin, den 9. April 1887
Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten
U II Nr. 6014.

In Erwiderung des Berichts des Königlichen Provinzial-Schulkollegiums vom 30. März d. J. -1895 A – will ich bei Rücksendung der sämtlichen Anlagen nunmehr die Errichtung einer höheren Bürgerschule zu M. Gladbach und deren Eröffnung zum kommenden Schuljahr sowie das vorgelegte Statut für diese Anstalt hiermit genehmigen . . . (Es folgen noch einige Forderungen betreffs des Etatsentwurfes.)

gez. von Goßler
An das Königliche Provinzial-Schulkollegium zu Coblenz

 

Nach der Ausschreibung der Lehrerstellen im März 1887 wurde der Barmer Gymnasiallehrer Dr. Klausing zum Leiter der neuen Anstalt gewählt. Am 25. April 1887 fand die Aufnahmeprüfung statt, und bereits am 27. April wurde die neue Anstalt mit 84 Schülern zweizügig eröffnet. Am gleichen Tag fand die feierliche Amtseinführung des provisorischen Dirigenten, Dr. Klausing, und der beiden Lehrer, Dr. Sonnenberg und Kremer, durch Bürgermeister Kaifer in Gegenwart des Kuratoriums im kleinen Saale des Hotels Mannheim statt.